Research Article |
Corresponding author: Reinhard Gaedike ( tinagma@msn.com ) Academic editor: Peter Huemer
© 2020 Reinhard Gaedike, Rudolf Bryner.
This is an open access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution License (CC BY 4.0), which permits unrestricted use, distribution, and reproduction in any medium, provided the original author and source are credited.
Citation:
Gaedike R, Bryner R (2020) Nemapogon helveticola sp. nov. aus der Schweiz (Lepidoptera, Tineidae). Alpine Entomology 4: 73-79. https://doi.org/10.3897/alpento.4.51727
|
Aus der Schweiz wird Nemapogon helveticola als neue Art beschrieben. Dabei handelt es sich um eine taxonomisch isolierte Art, welche bisher nur an einer einzigen Stelle gefunden worden ist. Der Falter und die männlichen Genitalien werden abgebildet.
Nemapogon helveticola is described as new species from Switzerland. The species is taxonomically isolated and was found only on one place. The imago and the male genitalia are illustrated.
Lepidoptera, Nemapogon, new species, Switzerland, determination
Im Kanton Freiburg am steilen und feuchtschattigen Nordhang des Mont Vully, einer isoliert stehenden Erhebung zwischen dem Neuenburger- und Murtensee im westlichen Schweizer Mittelland, wurden seit 1984 in unregelmäßigen Abständen, verteilt über die Monate April bis November, mehr als drei Dutzend Lichtfänge durchgeführt und die Daten an das CSCF, infofauna Neuchâtel, gemeldet. Die Artenzusammensetzung entspricht dem Sortiment von waldbewohnenden Lepidoptera, wie sie für das Schweizerische Mittelland typisch sind. Der Ursprünglichkeit und der Besonderheit des Waldtypus entsprechend ist die Artenzahl überdurchschnittlich gross und der Anteil an feuchtigkeits- und totholzliebenden Arten auffallend hoch. Die Familie der Tineidae ist hier beispielsweise mit 15 Arten vertreten.
Sandstein und Mergel der oberen Meeresmolasse (Burdigalien) bilden den Untergrund des rund 220 Meter hoch aus der Ebene des Großen Mooses aufragenden Hügels. Sein Gipfel liegt auf 653 Meter über Meer. Die unmittelbare Umgebung des Fundortes, „Le Vaillet“, ist ein sehr steiler, nur schwer zugänglicher Eschenwald (Fraxinus excelsior) auf 500–600 Meter Höhe. Die Waldfläche wird kaum bewirtschaftet und hat dementsprechend einen großen Anteil an Totholz. Die Strauchschicht besteht vor allem aus Hasel (Corylus avellana), Schwarzerle (Alnus glutinosa), Traubenkirsche (Prunus padus), Heckenkirsche (Lonicera xylosteum) und Holunder (Sambucus niger). Die Bodenvegetation wird in schattigen Bereichen durch ausgedehnte Bestände von Schachtelhalm (Equisetum hyemale) geprägt. Hier wächst auch das Christophskraut (Actaea spicata). An lichtreicheren Stellen gedeiht eine üppige Hochstaudenflur mit Adlerfarn (Pteridium aquilinum), Brennnessel (Urtica dioica), Hexenkraut (Circaea lutetiana), Hopfen (Humulus lupulus), Wald-Geißbart (Aruncus dioicus), Taubnessel (Lamium maculatum) und Brombeeren (Rubus ssp.) (Abb.
Nach dem Erstfund einer zuerst nicht determinierbaren Tineidae beim Lichtfang mit superaktinischem Licht am 7. Juli 2016 wurde die Nachsuche nach weiteren Exemplaren der Art in den Jahren 2017–2019 in einem Zeitfenster vom 10. Juni bis 20. Juli intensiviert. Im Wissen darum, dass gewisse Tineidae die Pheromone einiger Sesiidae-Arten anfliegen, wurden auch Fallen eingesetzt, bestückt mit den Pheromonen von Paranthrene tabaniformis (Rottemburg, 1775), Synanthedon myopaeformis (Borkhausen, 1789), S. tipuliformis (Clerck, 1759) und S. vespiformis (Linnaeus, 1761). Bezugsquelle der Pheromone: Plant Research International, Pherobank Wageningen, Niederlande. Damit konnte die gesuchte Art aber nicht angelockt werden. Einzig die Männchen von Nemapogon koenigi Capuşe, 1967 waren in der Pheromonfalle von S. vespiformis mehrfach anzutreffen, so beispielsweise mit einem Massenanflug von über 30 Exemplaren am 14. Juni 2019. Das Einsammeln von verpilztem Totholz im Spätwinter und im Frühjahr ergab zwar mehrere Arten aus den Familien Tineidae und Oecophoridae, brachte aber keinen Erfolg für die Zielart. Endlich, am 30. Juni 2019, konnte wiederum beim Lichtfang mit superaktinischem Licht und nur wenige Meter vom Erstfundort entfernt ein zweites Männchen gefangen werden.
Durch Vermittlung von Herrn Dr. Peter Huemer, Innsbruck wurde ein DNA-Barcoding im Canadian Centre of DNA-Barcoding vorgenommen. Parallel dazu erfolgte die Untersuchung der beiden Falter nach äußeren Merkmalen sowie durch Genitalpräparation (zur Methodik hierzu siehe
Abkürzungen:
coll. Bryner Sammlung Rudolf Bryner, Biel
CSCF Centre de Cartographie de la Faune (infofauna), Neuchâtel
Holotypus
♂, L[ichtfang] 30.06.2019, CH FR Vully-le-Bas, Le Vaillet, 595 m, 573/201, 46°57'54"N, 7°05'50"E, leg. R. Bryner; DNA Barcode TLMF Lep 28118; Genitalpräparat Gaedike Nr. 9727; coll.
Paratypus : 1 ♂ vom gleichen Fundort, 07.07.2016; Genitalpräparat Bryner Nr. 2017-060; coll. Bryner.
(Abb.
(Abb.
Unbekannt.
Die für fast alle Arten der Gattung typische Flügelzeichnung aus zumeist hellen (oft weißen bis cremefarbenen) sowie dunklen (gelbbraunen, braunen bis schwarzen) Flecken und bindenähnlichen Streifen ist hier fast vollkommen überdeckt mit dunkelbraunen Schuppen. Gewisse Ähnlichkeiten sind mit den beiden Arten N. cloacella (Haworth, 1828) und N. koenigi Capuşe, 1967 vorhanden, bei denen aber die Zeichnungselemente deutlicher sichtbar sind.
Im Genitalbau ist das charakteristische Merkmal der Gattung, die Valve mit Digitus, vorhanden. Das Fehlen von Gnathosarmen ist untypisch, bisher ist nur Nemapogon agnathosella Gaedike, 2000 aus dem Fernen Osten Russlands bekannt, wo auch keine Gnathosarme vorhanden sind. Es wäre möglich, dass die beiden lateralen beborsteten Fortsätze die Funktion der Gnathosarme übernommen haben. Bei einigen Arten (N. falstriella (Haas, 1881), N. caucasicus Zagulajev, 1964 und N. echinata Gaedike, 2000) sind laterale bestachelte Uncusfortsätze (Socii) vorhanden, die denen bei N. helveticola ähneln, diese Arten haben aber alle Gnathosarme (
(persönliche Mitteilung von Peter Huemer): Vom Holotypus konnte eine DNA-Barcode Sequenz von 641 Basenpaaren ermittelt werden. Die genetisch nächst stehenden, erfolgreich sequenzierten europäischen Arten in BOLD sind N. lagodechiellus Zagulajev, 1962, N. orientalis Petersen, 1961 und N. cloacella (Haworth, 1828) mit jeweils etwa 9 % minimaler Distanz. Die Distanzen zum nächsten Nachbarn betragen hingegen bei 32 Arten in BOLD im Vergleich lediglich durchschnittlich 5,97% (min. 3,3%, max. 12.29%). Die genetische Sequenz der neuen Art sowie geographische Informationen und Bildmaterial finden sich im öffentlichen Dataset DS-NEMAHELV “Nemapogon helveticola sp. nov.” in BOLD (www.boldsystems.org).
Der Name helveticola ist von „Helvetia“, dem Land des Erstfundes, abgeleitet.
Die neue Art gehört zweifelsfrei zur Gattung Nemapogon.
Sie lässt sich bisher nicht einer der bekannten Artengruppen innerhalb der Gattung zuordnen, was auch die Ergebnisse des Barcoding bestätigen. Diese zeigen eine große Divergenz (fast 9%) zu den am nächsten stehenden Arten, mit welchen die neue Art sowohl im Genitalbau als auch äußerlich keine besonders große Ähnlichkeit aufweist. Es ist aber zu berücksichtigen, dass allerdings noch von zahlreichen anderen Arten der Gattung DNA-Untersuchungen fehlen.
Die Biologie von N. helveticola ist unbekannt, es ist aber anzunehmen, dass die Larven Baumpilzbewohner sind, was für die Arten der Gattung typisch ist.
Die Durchführung des DNA-Barcodings erfolgte dankenswerter Weise durch Herrn Prof. Dr. Paul Hebert und das Team des Canadian Centre of DNA-Barcoding durch Vermittlung von Herrn Dr. Peter Huemer, der schließlich auch die Interpretation des DNA-Barcodings vorgenommen hat.
Unser Dank geht auch an die beiden Reviewer Peter Buchner, Schwarzau, Österreich, und Dr. Andreas Segerer, ZSM, Deutschland, sowie an den Subject Editor Dr. Peter Huemer, Hall, Österreich.