Corresponding author: Daniel Burckhardt (
Academic editor: Thibault Lachat
Am 3. September 2020 ist Prof. Dr. Willi Sauter nach einem erfüllten, zu grossen Teilen der Entomologie gewidmeten Leben gestorben. 1946 trat er der Schweizerischen Entomologischen Gesellschaft bei, in der er von 1957 bis 1992 im Vorstand als Bibliothekar (1957–1977), Redaktor der
Willi Sauter am 28. Januar 2012 in seinem Arbeitszimmer in Illnau (Foto Martin Sauter).
Willi Sauter war unser Hochschullehrer an der ETH Zürich, unter dessen Leitung unsere Doktorarbeiten entstanden (Charles Lienhard (
Willi war sicher weder ein «stahlharter Manager» noch ein «Showman», sondern ein Mensch von grosser Authentizität: Er stand zu sich selbst und blieb sich treu. Im hektischen Betrieb der 1970er-Jahre des ehemaligen Entomologischen Instituts der ETH war Willi ein ruhender Pol und vermittelte durch seine freundliche und zurückhaltende Art den bei ihm arbeitenden Studenten die Einsicht, dass volles Engagement für die Sache und gute kollegiale Kontakte nicht unter übertriebenem Ehrgeiz leiden sollten. Vielleicht standen ihm zeitweise die Insekten näher als die Menschen um ihn herum, doch handkehrum konnte er sich auch mit viel Geduld und Empathie seinen Studenten zuwenden.
Unvergessen bleiben die entomologischen Exkursionen unter seiner Leitung, wo er, der sonst so ruhige und massvolle Professor, plötzlich mit ungeahntem Elan und grosser Geschicklichkeit mit seinem Insektennetz hinter einem interessanten Schmetterling herjagen konnte. Meist mit Erfolg, und stolz erklärte er dann den Studenten, weshalb das Tier sein Interesse geweckt hatte, erzählte über seine Lebensweise, seine Stellung im System der Insekten und erwähnte oft auch die Schwierigkeiten, die bei genauerer Artbestimmung zu erwarten gewesen wären. Bei der Demonstration eines besonders hübschen Insekts spürte man stets auch seine Begeisterung über die Schönheit dieser Tiere. Fast überschwänglich konnte er so einen schillernd glänzenden, aber eigentlich häufigen Grünrüssler der Gattung
Die folgenden zwei während der Assistenzzeit bei Professor Sauter erlebten Exkursions-Anekdoten mögen uns hier sein Wesen etwas näherbringen. Noch heute lassen sie den damals jungen Assistenten (
Während der biologischen Arbeitswochen, die jeweils im Sommer zusammen mit Botanikern der ETH organisiert wurden, war Willi derjenige Dozent, der durch die Vielfalt seiner Kenntnisse über alle Insektengruppen den damals noch selten gebrauchten Begriff der Biodiversität für die Studenten erlebbar machen konnte. Angesichts der grossen Vielfalt der beobachteten Insekten und der Herausforderung, sie möglichst genau zu bestimmen, bewährte sich Willis Universalität. Er war imstande, fast jedes Problem zu lösen oder fundiert zu kommentieren und allenfalls darauf hinzuweisen, dass es sich um eine besonders «schwierige Gruppe» handle.
Willi Sauter gehörte unbestritten zu den universellsten Entomologen Europas. Doch dieses breite Interesse und die Verpflichtung, die er fühlte, sich möglichst kompetent über Probleme aller Insektenordnungen äussern zu können, wurde ihm vielleicht auch etwas zum Verhängnis. So verweigerte sich Willi dem sich modernisierenden Wissenschaftsbetrieb, wo Prestige und Anzahl publizierte Arbeiten im Vordergrund standen. Als Forscher war er von einer grossen Skepsis geprägt, was dazu führte, dass er relativ wenig publizierte. Sein Hang zum Perfektionismus, der natürlich bei vielen Systematikern zu beobachten ist, und seine sehr kritische Haltung gegenüber vorläufigen Resultaten verhinderten in manchen Fällen die Publikation interessanter Beobachtungen und Erkenntnisse, die wahrscheinlich heute, mit seiner zierlich-feinen Handschrift (einer idealen Etiketten-Schrift!) auf Zetteln notiert, im Nachlass der Entdeckung harren. So war die folgende Frage Willis symptomatisch, wenn ein Student begeistert von der Entdeckung einer neuen Art oder gar Gattung berichtete: «Sind Sie sicher?» – Und beim Erscheinen einer Arbeit eines Kollegen bemerkte Willi gelegentlich stolz, aber ohne Bitterkeit: «Das weiss ich schon lange!»
Willis intellektuelle Neugierde und Offenheit für neue wissenschaftliche Ideen kamen uns sehr zugute. Wir erinnern uns alle mit Vergnügen an die Mini-Kolloquien für fünf bis sechs Doktoranden, die uns unter anderem mit Hennigs Phylogenetischer Systematik (in der fast unlesbaren deutschen Originalausgabe!) bekanntmachten. Für MHs Dissertation über plesiomorphe Tortricinen der Südhemisphäre war eine vom Grundplan inspirierte Sicht entscheidend, zu einer Zeit als diese Idee noch als revolutionär galt. Als Dank für Willis vorbildliche Rolle als Doktorvater sollte eine neue Tortricidengattung von Neukaledonien nach ihm benannt werden, mit dem Problem, dass vom Namen des in Ostasien aktiven Sammlers Hans Sauter abgeleitete Gattungsnamen bereits existierten. Die ungewöhnliche Wahl des Gattungsnamens war ein gewisses Wagnis, fand aber sofort allgemeinen Beifall – kein Zweifel wer mit dem Namen
Oft schien bei Willi die Freude an der Beobachtung und Erkenntnis das Ziel seiner Forschung zu sein und nicht die endgültige Ausarbeitung der Resultate bis zur Publikation. Aber diese Entdecker-Freude übertrug sich auf seine besten Schüler, und wo genug Ehrgeiz vorhanden war, führte sie zu einigen wichtigen Publikationen, wie taxonomische Revisionen und Bestimmungsschlüssel. So war Willi Sauter nicht nur selbst der universellste schweizerische Entomologe seiner Zeit, sondern auch ein Katalysator für manch fundierte Untersuchung in den verschiedensten Insektengruppen. Dies zu erreichen, ist sicher eine der vornehmsten Aufgaben eines bedeutenden Hochschullehrers.